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Wahlkampf

(Ort und Zeit: Vor dem Beginn der Wahlkampfveranstaltung einer Partei)

MANN
Was machen wir hier?

FRAU
Gute Frage.

FREUND
Das frage ich mich auch.

PRAKTIKANT
Ich bin es! Danke! Ich bin der Assistent von Frau/Herr XY.

KOMMENTATORIN
Ich spreche kein Deutsch.

PRAKTIKANT
Ok. Ich habe mit Frau/Herr XY telefoniert. Frau/Herr XY wird gleich hier sein. Es dauert noch einen kurzen Moment. Sie/Er steckt auf der Autobahn im Stau. Sie/Er war heute schon auf einer anderen Wahlkampfveranstaltung. In zehn Minuten ist Frau/Herr XY bei uns. Frau/Herr XY freut sich jetzt schon, zu ihnen zu sprechen.

FREUND
Wer sieht uns? Wer hört uns? Hat nicht jeder seine eigenen Probleme. Private, Berufliche, Schulden, mit den Kindern oder mit sich. Jeder ist individuell. Alle sind verschieden. Jeder hat auch seine persönlichen Bedürfnisse. Da kann man sich schon mal fragen, was wir hier machen. Wir werden niemals miteinander übereinstimmen.

MANN
Ich kann meine Bedürfnisse mit Geld befriedigen und mir meine Interessen ermöglichen. Aber reicht es für mehr als nur für mich? Willst du dich ganz aufs Geld verlassen? Spürst du die Hoffnung sinken? Spürst du, wie alles schal, kraftlos, nichtig wird. Hörst du die Fragen: Ist überhaupt irgendetwas möglich? Ist diese Welt nicht trostlos? Ist nicht alles umsonst?

KOMMENTATORIN
Es ist alles sehr kompliziert.

Foto: Pauline Fabry

FRAU
Erst einmal hören wir uns an, was Frau/Herr XY zu sagen hat. Deswegen sind wir alle hier. Sie/er macht Politik. Das heißt nicht, dass sie/er für alles verantwortlich ist. Aber das, was alle betrifft, muss sie/er umsetzen.

PRAKTIKANT
Entschuldigen Sie. Ich bin es. Ich bin der Assistent von Frau/Herr XY. Ich habe noch mal mit Frau/Herr XY telefoniert. Im Moment fährt sie/er von der Autobahn ab. Der Stau hat sich in Luft aufgelöst. In fünf Minuten ist Frau/Herr XY hier bei uns. Frau/Herr XY freut sich sehr, dass Sie so geduldig sind.

FREUND
Generell finde ich die Wahlen absolut bescheuert. Ich will nicht warten, bis man mich fragt. Ich klatsche nicht an der richtigen Stelle. Ich kennen nicht die Antwort, die man zu geben hat. Ich bin keine Trichter. Ich will keine Partei repräsentieren. Stell dir vor, du gehst zur Wahlkundgebung, die Bürger haben das Mikrophon in der Hand und die Politiker hören zu. Stell dir vor, es ist Wahl und keiner geht hin, weil alle damit beschäftigt sind, die beste aller Welten zu bauen.

MANN
Ich stelle mir gar nichts vor. Ich frag mich, warum ich etwas ändern soll. Ich bin allein und ich allein kann nichts tun.

FRAU
Mein Liebster. Du bist nicht allein. Heute sind wir zu zweit, morgen sind wir drei.

MANN
Jetzt konkret und nicht verkopft. Erstens. Wir werden niemals im Schlaraffenland leben. Es werden nie Fische gebraten in der Luft fliegen. Die Faulen werden nichts erreichen. Es wird immer Unfreiheit geben. Politik ist zu komplex. Zweitens. Ich werde immer jemanden wählen, der mich enttäuscht. Die Politiker haben auch ihre eigenen Interessen. Wie ich und du. Warum sollte sie/er mich noch vertreten, wenn sie/er erreicht hat, was sie/er wollte? Daran glaubt keiner mehr. Das Vertrauen ist zwischen uns gerissen. Drittens. Ich teile schon genug. Jeden Monat zahle ich meine Steuern. Die Steuern ermöglichen diesen Staat. Es funktioniert. Wir haben eine starke Wirtschaft. Wir gehen alle – fast alle – hart arbeiten. Jeder kann sich seine Bedürfnisse mit Geld befriedigen. Wo liegt das Problem?

FREUND
Für all die vielen Probleme haben wir hier keine Zeit. Aber für eine Lösung! Ich habe eine Idee. Wir brauchen keine Bad Banks. Wir brauchen die eine Black Bank. Wir brauchen ein Schwarzes Loch, in das die Spitze des Eisbergs, all diese überflüssige Anhäufung von Geld hineingezogen wird. Stell dir einen überdimensionalen, digitalen Schredder vor. Oben tropft die Spitze des Eisbergs rein und unten werden die unbezahlbaren Schulden, die riskanten Kredite, diese Zeitbomben beglichen. Solange, bis es keine Schulden mehr gibt. Danach stellen wir den Schredder ins Museum. Stell dir vor, kein Mensch dieser Welt wäre dem anderen etwas schuldig.

MANN
Erstens gehe ich nicht ins Museum. Weil versteht keiner, diese ganze Kunst. Zweitens muss jeder die Verantwortung tragen, die er sich hat zu Schulden kommen lassen. Zum Beispiel der Grieche. Kriegt die ganze Zeit Geld. Das muss er selbstverständlich zurückzahlen. Außerdem was kann ich dafür?

FREUND
Stell dir vor, Griechenland hätte eine zweite, parallele Währung. Wie in der Schweiz. Aus der können die Kreditgeber von außen nichts abschöpfen. Auch kann keiner mit ihr spekulieren. Der Gewinn bleibt im Land. Denn sonst sammelt sich das Kapital dort, wo das meiste ist. Und die Schulden dort, wo mehr als genügend sind. Warren Buffet sagt... Kennst du Warren Buffet? Warren Buffet sagt: Wir, die Reichen, führen einen Krieg gegen den Rest der Welt und wir werden ihn gewinnen. Auch der deutsche Staat hat letztes Jahr Milliardengewinne mit den Krediten für Griechenland gemacht. Stell dir eine komplementäre Währung vor, die das verhindert. Und stell dir diese Black Bank vor.

MANN
Ich stell mir gar nichts vor.

FRAU
Vergiss es nicht beim Lieben und beim Streiten. Es gibt nicht nur dich und mich, es gibt uns. Hier beginnt das Unmögliche. Keiner hat das recht zu gehorchen.

MANN
Die Alternative, die uns von der Politik angeboten wird, ist keine. Ich sehe keine Alternative. In meiner Situation gibt es nur Entscheidungen aus Zwang, Zusammenhänge durch Schulden, Verbindlichkeiten und überall Verpflichtungen. Was da zählt, ist die Welt der Möglichkeiten. In der solltest du dich verwirklichen. Du sollst deine Chancen nutzen. Sei kein Idiot. Hänge dich nicht am Unmöglichen auf. Das Unmögliche ist ein Hirngespinst.

FREUND
Wir sollten das Unmögliche vom Himmel holen. Die kleinliche Politik stattdessen in die Luft jagen. Wir sollten es tun. Superman wird nicht kommen. Kommt Superman, kannst du dir gewiss sein, es ist ein weiterer Wolf im Schafspelz.

MANN
Bleibt mir nichts anderes übrig, als auf mich selbst zu vertrauen? Außer uns haben wir niemanden. Unter Freunden: Ich würde die Menschen gern umarmen. Nicht mit ihnen kämpfen.

FREUND
Wie legst du los? Du beginnst direkt vor Ort. Du bittest keine Institution um einen Auftrag oder um Erlaubnis, dich zu organisieren. Du bist auch nicht abhängig von den Kompetenzen von Unternehmen. Räume und Fähigkeiten findest du vor Ort bei dir. Vor Ort findest du auch die Kontinuitäten. Die Bindung zwischen Freunden, Bekannten und Nachbarn sind weder erzwungen noch käuflich. Sie bestehen auch ohne Spektakel und ohne Konsum. Es gibt Vertrauen zwischen Freunden, Bekannten und Nachbarn, das selbstverständlich ist. Auf dieses Vertrauen können wir bauen. Du redest nur mit Freunden über alles. Ihr kennt eure Bedürfnisse. Das Engagement beginnt mit jenen, die sich jeden Tag wiedersehen. Es beginnt in unserem gemeinsamen, persönlichen Alltag. Es beginnt im Gespräch, das wir sowieso führen und das wir um die Lust und Notwendigkeit des Engagements erweitern. Die Probleme, die zuerst zu lösen sind, finden wir auch bei uns. In unserer Straße, unserem Kiez, unserem Viertel, unserer Stadt. Der Alltag ermöglicht den Aufstand.

FRAU
Er hat Recht. Überlassen wir das Träumen nicht der Werbung. Überlassen wir den Unternehmen nicht die Visionen. Überlassen wir das Unmögliche nicht den Parteien. Sie machen unsere Träume kostspielig. Sie machen die Visionen zu ihrem Gewinn. Sie reden das Unmögliche klein. Entreißen wir gemeinsam mit unseren Freunden, Bekannten und Nachbarn ihnen wieder den Traum, die Vision und das Unmögliche. Werden wir zu Dieben. Nehmen wir uns, was einmal nur uns gehört hat.